"Radikale Zärtlichkeit" von Şeyda Kurt [Rezension]

"Dieses Buch gründet auf einem Unbehagen. Manchmal rumort es, manchmal tobt es. Mal klagt das Unbehagen, mal schweigt es. Doch es verschwindet nie."*

Inhalt

What is love? Ist die Liebe Sinn des Lebens, eine politische Allianz, Illusion oder Selbstzweck? Oder ist sie gar unmöglich, weil wir uns zwischen Zukunftsängsten, überhöhten Ansprüchen und diskriminierenden Strukturen völlig zerreiben?
Şeyda Kurt nimmt unsere allzu vertrauten Liebesnormen im Kraftfeld von Patriarchat, Rassismus und Kapitalismus auseinander – und erforscht am Beispiel ihrer eigenen Biografie, wie traditionelle Beziehungsmodelle in die Schieflage geraten, sobald sicher geglaubte Familienbande zerbrechen und hergebrachte Wahrheiten in Zweifel geraten. Denn Liebe existiert nicht im luftleeren Raum. Sie ist ein Spiegel unserer Gesellschaft. Und sie ist politisch.
Wie also wollen wir wirklich lieben? Wen und wie viele? Wie kann er aussehen, ein radikaler Neuentwurf der Liebe? Und wie können Menschen sich gemeinsam gegen die Ismen unserer Gesellschaft behaupten – als Partner*innen, Familie und Freund*innen?  Scharfsinnig, witzig und mit einem feinen Gespür für die zahlreichen Fallstricke und Dimensionen der Liebe erzählt Şeyda Kurt von ihrer Suche nach neuen Narrativen –  und einer uns eigenen Sprache der Zärtlichkeit, in der wir mit überkommenden Beziehungsmodellen brechen und ein gerechteres Miteinander wagen können. (Quelle)

Meine Meinung

Den Slogan "das Private ist politisch" kennt die ein oder andere Person eventuell aus der zweiten Frauenbewegung (es stammt aus der Publikation Notes for the Second Year: Women's Liberation, die von Shulamith Firestone und Anne Koedt 1970 herausgegeben wurde; der Satz selbst stammt von Carol Hanish). Jedenfalls musst ich immer an diesen Slogan denken, wenn ich von diesem Buch gehört oder gesehen habe. 
Jetzt, nachdem ich das Buch gelesen (bzw. gehört habe - von der Autor*in selbst gelesen) ist mir bewusst, wieso ich an den Slogan denken musst. Es liegt vor allem am Titel, denn ich würde das Buch eher in die dritte Welle der Frauenbewegung einordnen.
Kurt geht in ihrem Buch auf die Liebe ein und wie diese vom Politischen beeinflusst wird. Darüber hinaus nimmt sie Konzepte von Liebe auseinander und spricht vielmehr über Beziehungen zwischen zwei Menschen, die als romantische Beziehung kategorisiert werden. Dabei bezieht sie sich auch auf das Polydasein, Monogamie und die gesellschaftliche Auffassung der beiden. Vor allem spricht sie über Zärtlichkeit, wie auch schon der Titel verrät und was Zärtlichkeit mit radikal sein zu tun hat. 
Für mich war vieles nicht besonders neu, aber ehrlich gesagt habe ich auch nichts bahnbrechendes erwartet. Ich wollte wissen, was und wie Kurt schreibt und wie sie dabei auch ihre eigenen Erfahrungen eingebracht hat. Es hat sehr viel Spaß gemacht dieses Buch zu lesen, vor allem einen anderen Einblick auf die Liebe bzw. Zärtlichkeit zu bekommen. Gerade, wenn ich an Situationen aus meinem eigenen Leben denke. Ich hatte das Gefühl einen persönlichen Bezug zu haben, aber dann wiederum auch keinen Bezug zu dem zu haben, was in dem Buch aufgeführt wird. 
Was ich an Büchern wie diesem sehr schätze ist die Literaturrecherche, die dafür betrieben wurde, was wiederum zeigt, dass sich Zeit gelassen wurde und nicht einfach so etwas herunter geschrieben wurde. Als Grundlage dienen wissenschaftliche Artikel, verschiedene Theorien von den verschiedensten Philosoph*innen. Es ist immer wieder sehr spannend zu lesen wie andere Personen die Werke von bekannten Philosoph*innen aufnehmen. Ich finde, dass das sehr viel über eine Person aussagt (- aber sind wir mal ehrlich, als würde Kurt ihre Meinung und Haltung zu bestimmten Themen verstecken, immerhin entscheidet sie bewusst ihre Meinung kundzutun, was ich gut finde; denn sonst hätte es dieses Buch hier nicht gegeben). 
Auch, wenn mir das Buch nicht allzu viele neuen Erkenntnisse gegeben hat, habe ich es gerne gelesen und müsste ich es mit einem Wort beschreiben, dann würde ich wunderschön sagen. Klar, stellenweise habe ich mich schon gefragt, was die Autor*in mit bestimmten Abschnitten nun erreichen möchte, aber ich hatte nicht die Erwartung, dass zu 100% mit dem übereinstimmen würde, was in dem Buch geschrieben steht. Aber ich denke, dass es definitiv ein Buch ist, was andere Personen zum Nachdenken oder eventuell auch Umdenken anregen würde. Daher würde ich auf jeden Fall sagen, dass es gelesen werden sollte, wenn auch ansatzweise Interesse besteht. Selbst wenn ihr denkt, dass es gar nicht so euer Genre oder Thema ist: versucht doch dem Buch eine Chance zu geben. Denn neue Erkenntnisse (oder auch nicht so neue Erkenntnisse) können immer gewonnen werden. Ansonsten hat man eine sehr gute Möglichkeit sich kritisch mit dem Werk auseinander zu setzen. 

Und im folgenden findet ihr noch einen kleinen Abschnitt, der mir besonders gut gefallen hat. Vielleicht habt ihr es schon in der ein oder anderen Zeitung gelesen, aber ich wollte es hier nochmal für alle zitieren, die sich überlegen das Buch zu lesen und noch nicht ganz sicher sind. Jedenfalls ist es ein Gedicht und ich finde es wahnsinnig schön!

(Ich habe euch den Artikel aus der ZEIT verlinkt, in welchem ihr das Gedicht nachlesen könnt, da ich leider nur begrenzt aus einem Buch zitieren darf. Aber schaut unbedingt vorbei, denn es lohnt sich den Text zu lesen - selbst wenn man keine Gedichte mag!)

Bewertung

Ich gebe dem Buch 3.5 von 5 Sternen und würde es auf jeden Fall weiterempfehlen. Gerade, wenn die Thematik neu für euch ist oder ihr etwas über Beziehungen lesen wollt, aber keine Lust auf Esoterik und/oder Astrologie habt. Oder wenn ihr euch dafür interessiert, warum und wie Liebe politisch sein kann. 
Eure szebra

Zum Buch

Titel: Radikale Zärtlichkeit - Warum Liebe politisch ist
Autor*in: Şeyda Kurt
Erscheinungstermin: 20. April 2021
Preis: 18.00€ (TB); 13.99€ (eBook)
Seiten: 224
Altersempfehlung: ab 16 Jahren

Autor*in

Şeyda Kurt, geboren 1992 in Köln, studierte Philosophie, Romanistik und Kulturjournalismus in Köln, Bordeaux und Berlin und ist Journalistin und Moderatorin. Sie schreibt unter anderem für taz. Die Tageszeitung und ZEIT ONLINE. In der Kolumne Utopia bespricht sie für das Theater-Onlinemagazin nachtkritik.de kulturelle Repräsentationen von Liebe und Zärtlichkeit auf Theaterbühnen. Auf Twitter schreibt sie unter @kurtsarbeit über politische und soziologische Belange. (Quelle)

*entnommen aus "Radikale Zärtlichkeit - Warum Liebe politisch ist" von Şeyda Kurt; Werbung aufgrund von Markennennung und Verlinkungen

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